Beschreibung
Seismograph der Seele: Akram Khans Renommee als prägender Schrittmacher unserer Zeit kommt nicht von ungefähr. Es gibt wenige Choreograph:innen mit einem so feinen Gespür für die menschliche Psyche. Wenige auch, die verborgene Abgründe so gründlich ausloten wie er. Zumal Akram Khan – und das macht seine Arbeiten so besonders – den Tanz immer wieder in sehr konkreten Kontexten verortet. Sei es der erste Weltkrieg in XENOS, das babylonische Gilgamesch-Epos in Outwitting the Devil, uraufgeführt beim COLOURS-Festival 2019, oder zuletzt die geschundene Natur in der Klimakrise mit dem Jungle Book Reimagined.
Im Sommer 2025 wird der britische Starchoreograph und Tänzer Akram Khan erstmals mit Gauthier Dance arbeiten. Er wird dafür Auszüge aus drei klassisch gewordenen Produktionen weiterentwickeln, die er für sich selbst oder die Akram Khan Company kreierte. Der Titel Turning of Bones spielt dabei nicht nur auf ein hauptsächlich in Madagaskar praktiziertes Ritual der Erinnerung an – Famadihana, bei dem die Menschen die eingehüllten Überreste der Vorfahren aus den Gräbern holen, um sich neu mit ihren Ahnen und ihrem Erbe zu verbinden. Sie frischen die Namen auf den Tüchern auf, tragen die Knochen über ihren Köpfen und tanzen mit ihnen. Famadihana könnte tatsächlich auch die Herangehensweise an diese Produktion bezeichnen, bei der Akram Khan in die Geschichte seiner eigenen Werke eintaucht. Denn das Programm kombiniert Szenen aus dem Gruppenstück iTMOi (In the Mind of Igor), entstanden 2013 zum 100. Jubiläum von Igor Stravinskys Le Sacre du Printemps, den frappierenden „Kopftanz“ aus dem abendfüllenden Solo DESH über das Heimatland seines Vaters, Bangladesh, sowie den ergreifenden Pas de deux Mud of Sorrow, digital uraufgeführt im Pandemie-Winter 2021. Die Auswahl zielt auf das Gefühl des Unbehagens und die Suche nach Sinn, die unsere zunehmend orientierungslose Gesellschaft bestimmen. Die Ausschnitte werden über eine neu komponierte Musik von Aditya Prakash miteinander verwoben und münden in eine Neukreation, die titelgebend ist: The Turning of Bones. Als Inspirationsquelle dient Khan sein Kurzfilm INSIRGENTS von 2023, der sich mit dem Phänomen des Mobs auseinandersetzt und damit, wie Gewalt von Generation zu Generation weitergegeben wird.
Im Gegensatz zu den aufwendigen Bühnenbildern und Settings der ursprünglichen Fassungen strebt Akram Khan für diesen Abend eine ganz andere, abstraktere Stimmung an, die den Tanz und die puren Emotionen in den Mittelpunkt. Schon jetzt ist klar: Dieser kompromisslose, absolut herausfordernde Ansatz trifft bei Gauthier Dance nicht nur auf eine kongeniale Company. Auch die Voraussetzungen für eine intensive Probenarbeit sind gegeben. Dafür sorgt unter anderem eine zweiwöchige Residenz in der wundervollen Orsolina 28 Art Foundation in Moncalvo (Piemont) zum Abschluss unmittelbar vor der Premiere.